Der Hilger und sein Sach – Chiemgauer Heimatpflege ohne tierischen Ernst

„Suche altes Bauernhaus, zahle bar!“ So und ähnlich hatten viele seiner Anzeigen gelautet, auf die jetzt endlich eine vielversprechende Antwort kam. Anfang der Sechziger, als Heimatzeitungen auf dem Land noch eine Rolle spielten, waren die Angebote, die bei Tosso Herz, Versicherungsdirektor aus München eingingen, meist handgeschrieben und oft rätselhaft. Doch beim Angebot der Bäuerin Maria Hans aus Niederbrunn, Post Pittenhart im Chiemgau, fackelte er nicht lang und machte sich postwendend auf den Weg.
In Seeon angekommen fuhr er drei Kilometer nach Oberbrunn, von dort nach Niederbrunn und an der Abzweigung links nach Eschenau. Der Schnee lag hoch an diesem kalten Dezembertag, doch bei dem was er dann sah, wurde ihm gleich richtig warm. Schon als Bub hatte er davon geträumt, einmal einen Bauernhof zu besitzen und deshalb haben sie auch nicht lange verhandelt, die Bäuerin und der Stadtmensch. Am 1. Februar 1963 war notariell alles perfekt, der Versicherungsdirektor Tosso Herz aus München war von dem Tag an stolzer Besitzer des arg verfallenen Hilgerhofes nahe Seeon im Chiemgau.
Erfüllung eines Männertraums
Aus dem Bubentraum wurde ein Männertraum, denn jetzt begann das Herrichten und Aufbauen, sprich die Rettung des alten Gemäuers. Der Hilgerhof stammte immerhin ursprünglich aus dem Jahre 1460 und war dazu noch lange Jahre unbewohnt gewesen. Tosso Herz aber hatte einen Blick für den Wert der alten Substanz und gegen die üblichen Baustellen-Alpträume half ihm offenbar eine große Gelassenheit. Bei den Nachbarn war „der Hilger“ über lange Zeit Thema Nr. 1: ein Rätsel, warum der Stadtmensch dort so viel Geld und Zeit “für nix“ reinsteckte! Die vielen Handwerker indes waren zufrieden, viele hatten über Jahre Beschäftigung, zumal der Bauherr ihnen Aufgaben stellte, denen sie zum ersten Mal im Leben begegneten: Ziegel nach altem Muster neu brennen, Beschläge nachschmieden, Butzenscheiben ergänzen, das richtige Holz für traditionelle Dachrinnen finden und ähnliche Spassettln.
Doch zuvor musste erst einmal der feuchte steinerne Unterbau des Einödhofes komplett neu aufgemauert werden. Dass derweil der alte gezimmerte Oberstock samt Dachstuhl frei auf Stützen in der Luft schwebte, war weit über die Gemeinde hinaus Monate lang Gesprächsthema. Als Tosso Herz später aus dem nahen Rabenden noch einen alten Bundwerkstadel zerlegen und beim Hilger wieder aufbauen lies, beförderten ihn die Handwerker zum „Herrn Inschinir“, über dessen Verrücktheiten sich dann niemanden mehr wirklich gewundert hat. Am Ende, so um 1965 herum, stand der Hilgerhof, zusammen mit anderen Anbauten, wieder als der Dreiseithof da, der er ursprünglich einmal gewesen war. Ein echtes Schmuckstück, ähnlich einem Heimatmuseum, auf das seitdem auch die Nachbarn in Niederbrunn ganz stolz sind.
Hausherr mit Herz und Humor
Darum wird es Zeit, dass wir uns dem ehemaligen Bau- und Hausherrn Tosso Herz zuwenden. Ehemalig deshalb, weil er seinen Hof nur rund zehn Jahre bewohnt hat, das allerdings, wie es heißt, recht intensiv, bevor er 1975 im Alter von nur 54 Jahren starb. Das allwissende Internet gibt über Tosso Herz wenig her, doch dafür stößt man auf Antiquariats-Seiten auf sein Buch mit dem schönen Titel „Der Hilger und sein Sach – altbayerische Heimatpflege wider den tierischen Ernst“. In Klang und Stil steht er irgendwo zwischen Thoma und Lohmeier, ein Mensch mit großem Wissen, eigenem Humor und sehr viel Sympathie für die Leut‘ im altbayerischen Winkel zwischen Amerang und Seeon. Wobei der Untertitel des Buches sich quasi wie ein Programm liest, denn der gebürtige Münchner kannte keine größere Leidenschaft, als den Umgang mit der ländlichen Kultur Oberbayerns.
Beim Sammeln von Antiquitäten, Kunsthandwerk, bäuerlichem Hausrat und religiöser Volkskunst brachte er es zu wirklich großer Kennerschaft, wenn auch ganz ohne studierten oder gar promovierten Hintergrund. Gerade das aber macht heute den besonderen Reiz seines „Heimatmuseums“ aus, das im Grunde keines ist und auch nie eines sein wollte. Hier hat halt einer gerne gelebt und zwar so, wie er es wollte. Ob der Kachelofen aus Tirol mit dem Hafnergeschirr aus dem Rottal, oder der Tölzer Bauernschrank mit der Rokokovergoldung vom Hochzeitsbett kunsthistorisch korrespondierte, das sah er halt nicht so „tierisch ernst“. Doch wer heute bei ihm eintritt, fühlt sich trotzdem sofort wohl, wobei der Tosso auch zu seinen Lebzeiten immer reichlich interessanten Besuch hatte, besonders aus München. Mit dem Georg Lohmeier war er bekannt, auch Erni Singerl, Bally Prell oder Ludwig Schmid-Wildy gehörten zu seinen regelmäßigen Gästen, denn musiziert und gefeiert wurde gerne auf dem Hilgerhof.
Kunst und Kultur beim Hilger
Eine Begegnungsstätte ist der Hilgerhof auch heute noch, denn Tosso Herz war so weitsichtig, seinen Hof als historisches Baudenkmal samt allem Inventar dem Landkreis Traunstein zu vermachen, der über eine Stiftung den Hilgerhof erhält und pflegt. Das beachtliche Veranstaltungsprogramm verantwortet ein engagierter Kulturverein, der von Kunstausstellungen über Kabarett, Swing und Jazz, Schafkopf- und Plattlerturniere, Märchenerzähler bis „Foitnrock“ und „Braxnmax“ fast alles bietet.
- Moderne Skultur von Maria Sigl
- Die Bildhauerin Maria Sigl im Gespräch
- Rosenbild von Hans Schwer
Am Platz der früheren Tenne ist heute ein großer Veranstaltungssaal, der auch privat komplett mit Gastronomie gebucht werden kann, und so wundert es nicht, wenn beim Hilger auch immer mehr große Hochzeiten gefeiert werden. Bei der Trauung schaut Tosso Herz als Porträt von der Wand wohlwollend zu, auch wenn er selber ungefähr vier Mal verheiratet gewesen sein soll.

Tipp
Auch wenn Sie nicht bereits zum vierten Mal heiraten, richten auch Sie Ihre Feierlichkeiten im urigen, typisch bayerischen Kulturstadl im Hilgerhof aus!
Hilfe bei der Planung und Organisation erhalten Sie beim Kulturverein Hilgerhof e.V.