Das Freilichtmuseum in Amerang: lebendige Vergangenheit

Wer heute seinem Nachwuchs einen Museumsbesuch vorschlägt, muss mit Protest rechnen – weil uncool. Es sei denn, er trifft beim Museum die richtige Wahl, deshalb mein Tipp: Alles, was im Konzept mit dem Begriff „Freilicht“ arbeitet, hat gute Chancen, selbst wenn es um so altmodische Sachen geht wie Bauernhäuser.
Die Siedler von Catan in „echt“
In Amerang gibt es das Bauernhausmuseum, ein typisches Freilichtmuseum, das auch bei den Kids zum Favoriten werden könnte. Etwas außerhalb ist es angesiedelt, am schattigen Parkplatz kommt uns bereits ein Mühlbach entgegen, der vom modernen Empfangshaus mit Shop überbrückt wird. Danach kommt der überraschende Schritt in die Vergangenheit, wir stehen plötzlich mitten in einer alten Bauern-Siedlung, für ein Dorf zu klein, aber einen Weiler könnte man das schon nennen. Eine ländliche Idylle, die scheinbar schon seit immer genau an dieser Stelle im Chiemgau angesiedelt war. (Hier machen geschickte Eltern Richtung Kids eine Anspielung auf die „Siedler von Catan“, das die Museumsleute hier quasi „in echt“ zu Ende gespielt haben). Die „Siedlung“ ist weitläufig durchzogen von kurvigen Kieswegen zwischen großen, kleinen und ganz kleinen Höfen, dazwischen einige Stadel, teils mit schönem Bundwerk, außerdem bunte Bauerngärten, Backofen und Bienenhaus, ein Weiher und eine Kapelle und ganz hinten, wo der Wald anfängt, die Furthmühle am Ameranger Bach. Diese „Siedlung“ ist so natürlich in die sanft hügelige Landschaft gebettet, dass man die geschickt verborgene Einzäunung überhaupt nicht wahrnimmt, obwohl wir ja eigentlich in einem richtigen Museum sind und Eintritt gezahlt haben.
Der Häuslmannhof
Das wird erst wieder klar, wenn man zum Beispiel die Schwelle vom Häuslmannhof überschreitet, fast möchte man dabei vorsichtig anklopfen. Klar, niemand zu Hause; dafür sind ein paar informative Hinweisschilder nicht zu übersehen, wie im Museum halt. Die alten Bodendielen knarren, bei der nächsten Tür muss man sich bücken, die Menschen waren wohl kleiner früher, ihre Möblierung karg, zweckmäßig und doch irgendwie einladend. Wenn man jetzt in der Stube mit dem letzten Häuslmann-Bauern (Jahrgang 1914) am Tisch hocken würde, dann würde der aus dem Fenster zwar nicht sein vertrautes Aschau sehen und sicher über die vielen Lichtschalter staunen, aber vermutlich würde er mit einem „Basst!“ anerkennend nicken. Sein Hof aus dem Jahr 1751 kam als letzter von 17 Höfen, Stadeln, Werkstätten und Mühlen aus dem Chiemgau nach Amerang. Nach dreijähriger Arbeit war dann 2007 beim Häuslmann zum letzten Mal Richtfest und große Wiedereröffnung. Spezialtransporter hatten zuvor seinen Hof, in zwanzig große Teile zerlegt, von Aschau um den halben Chiemsee herum an diesen besonderen Platz gekarrt.
Mit Leben erfüllt
Die liebevolle Treue zum Detail ist in Amerang Grundsatz, was auch daran liegt, dass hier eine Zweigstelle des Freilichtmuseums Glentleiten bei Murnau steht. Am Konzept des großen Vorbilds haben sich die Ameranger orientiert, wobei aber schon 1977 ein örtlicher Verein als Gründer die Start- und Vorarbeit geleistet hatte. Der Bezirk Oberbayern sprang 1982 als Nothelfer ein, das Vorhaben war für den Verein alleine nicht mehr zu stemmen. Schon den Gründern war aber klar, dass ein solches Museum nur Erfolg hat, wenn es mit Leben erfüllt ist. Mit dem Leben, das sich früher auch im Dorf abgespielt hat, weshalb der Besucher in Amerang auch eine Seilerei, eine Schmiede und ein Sägewerk vorfindet. Zwar sind die nicht immer in Betrieb, doch bei Veranstaltungen sind dort manchmal Handwerker bei ihrer Arbeit an Produkten zusehen, von denen heute die Wenigsten noch einen Ahnung haben.
- Reinhard Beck an der Drechselmaschine
- Fein gedrechselte Holzkugeln
- Echtes Kunsthandwerk mit Liebe zum Detail
Feinste Handarbeit
Unter den vielen Angeboten übers Jahr habe ich mir Anfang Juni den Filigrandrechsler Reinhart Beck aus Pfronten im Allgäu ausgesucht, der mit seiner Drechselbank verblüffende Dinge aus Linden- und Zirbenholz herstellt. Die haben zwar mit den bäuerlichem Alltagsgeräten wenig zu tun, aber auch das Kunsthandwerk ist eine alte Tradition aus der dörflichen Kultur, in dem z.B. im Winter im Bayerischen Wald solche filigranen Sternkugeln, oder die Kugeln in der Kugel gedrechselt wurden. Und das auf einfachen Drechselbänken im Hand- oder Fußbetrieb.
Reinhart Beck hat eine umfassende Ausbildung in allen Holzberufen gemacht, war dazu auch in Reichenhall und kennt und liebt den Chiemgau. In Amerang ist er mit seiner mobilen Werkstatt, die er im Vorraum der „Dorfschmiede“ aufschlägt, so etwas wie ein Stammgast. Viel kann er mir erzählen über Holzarten und Techniken, über alte und neue Motive und darüber, dass eben die reine Handarbeit auch heute noch vielen CNC-Techniken weit überlegen ist. „Starrer Stahl gegen Gefühl“ ist sein Argument aus der Erfahrung, und die sagt ihm auch, dass sich das Bewusstsein für den Wert von altem Handwerk in den letzten zehn Jahren positiv gewandelt hat.
Traditionelle Feste mit nostalgischem Charme
Zum Dorf- und Bauernleben von früher und heute gehört natülich neben der Arbeit auch das Feiern. Die Liebe zu jahreszeitlichen Festen und Traditionen hat im Chiemgau einen festen Platz, jedenfalls hat sie länger überlebt, als so manches alte Bauernhaus. Der Abrissbagger hatte auch im Chiemgau viel zu tun, bis sich auch hier die Idee vom Bewahren durchgesetzt hat und so das Freilichtmuseum entstand. Nicht aus Nostalgie, sondern aus der Einsicht, dass gerade Bauernhäuser ein besonderer Teil unserer Kultur sind. Zurück zu den Festen: Vom Ostereierfärben und Oarschiam über Kirchweih bis in den Advent ist in Amerang immer etwas geboten.

Tipp
Ein weiteres Highlight des Chiemgaus ist das Bauernhofmuseum in Kirchanschöring. Museumsleiter Franz Huber präsentiert hier den über 200 Jahre alten Bauernhof kleinen Gruppen und garantiert einen ganz besonderen Urlaub auf dem Bauernhof.